Labour, Corbyn und Brexit – Ein Interview mit Jake Smith

Der Sozialdemokratie in Europa geht es generell nicht sehr gut - überall verlieren unsere Schwesterparteien wie die auch SPD an Boden. Nur in Großbritannien und Portugal dreht sich der Trend. Unser Großbritannienkorrespondent Simon Grajer hat nachgefragt, was die LabourUK denn so anders macht.

Jake Smith, aus dem Oxfordshire stammend, ist seit 2009 aktives und engagiertes Mitglied von Labour. Von 2013 an bis 2017 studierte Smith an der Universität Cardiff im Bachelor und Master Politics und Politics and Public Policy. Lange saß er den Cardiff Labour Students als Committee President vor und wird nun für seine langjährige Erfahrung und seine Fähigkeiten und Kompetenzen von den Mitgliedern der Hochschulgruppe und örtlichen Parteigliederungen sehr geschätzt.

 

 

Die Entwicklung der Labour Party in den letzten zwei Jahrzenten

 

1997 lösten die britischen Genoss*innen die Regierung der Tories mit einem fulminanten Sieg ab und Tony Blair wurde Premierminister. Doch in den folgenden general elections erfuhr die Partei einen massiven Abwärtstrend – einen solchen hatte Labour mit der Wahl 1997 eben erst überwunden, nachdem sie von 1966 bis 1983 eine nie dagewesene Talfahrt verkraften mussten. Von 43,2 % bei der Wahl 1997 sank die Zustimmung der Labour Party auf 29 % im Jahr 2010. Auch 2015 konnten die GenossInnen kein wesentlich besseres Ergebnis einfahren und der Parteivorsitzende Ed Miliband trat am Tag nach der Wahl zurück. Die Ära Corbyn´s konnte nun beginnen.

 

 

Die harten Jahre der Partei und der leuchtende Wiederaufstieg aus den Augen Jake Smith´s:

 

Nach vier Legislaturperioden löste die Labour Party 1997 die Konservativen mit Tony Blair als neuem Premierminister ab. Die Partei hat sich von der vorhergegangenen Talfahrt erholt und sich mit dem sehr populären Kandidaten Blair durchsetzen können. 2001 wurde die Labour Regierung mit geringem Stimmenverlust im Amt bestätigt. Mit der Entscheidung sich im Jahre 2003 an der Irak Invasion der Amerikaner zu beteiligen begann der erneute Abstieg für die Partei. Viele Anhänger*innen und Wähler*innen wandten sich von Blair und der Partei ab, der es aber dennoch gelang einen weiteren Wahlsieg, wenngleich einen mit spürbar großen Verlusten, einzufahren. Nachdem die Tories also erneut gegen Labour verloren hatten, suchten die Konservativen Erneuerung und fanden diese mit David Cameron. Cameron repräsentierte eine neue politische Generation und wurde zum Parteivorsitzenden gewählt. Seine Politik rückte die Tories in zentralere und liberalere Gefilde. Doch Cameron allein brachte die Labour-Regierung nicht ins Wanken. Die in den U.S.A. ausgelöste Finanzkrise dehnte sich global aus und die britischen Wähler*innen sahen die Verantwortung bei der Regierung, allen voran bei dem Finanzminister und späteren Regierungschef Gordon Brown. “Ich denke jedoch er hat einen großartigen Dienst getan, als er Britannien vor einer Rezession bewahrte, aber leider wurde ihm das nicht wirklich angerechnet.” Und so folgte die Niederlage der Labour Party in der General Election 2010. Cameron siegte, musste jedoch mit den “LibDem´s” (Liberal Democrats) eine Koalition bilden. Es folgte eine Periode der Austeritätspolitik, öffentliche Investitionen wurden massiv gekürzt, die Ausgaben für Schulen, Krankenhäuser, die Polizei und die Gehälter im öffentlichen Dienst gesenkt. Daraus folgte der Anstieg von Armut, Unzufriedenheit und der Arbeitslosenzahlen. So konnte der Kandidat und Parteivorsitzende Ed Miliband in den General Elections 2015 der Partei ein kleines Plus verschaffen, den Wahlsieg Camerons aber dennoch nicht verhindern. Am Tag nach der Wahl trat Miliband vom Amt des Parteivorsitzenden zurück und machte den Weg frei für einen neuen Parteivorsitzenden ...

 

 

„In den letzten Jahrzehnten wurde der oder die Vorsitzende der Labour Party durch das electoral college gewählt. Hierbei hatten ein Drittel der Stimmen die Fraktion im britischen Unterhaus, ein Drittel der Stimmen Parteimitglieder und das letzte Drittel der Stimmen Gewerkschafter der parteinahen Gewerkschaften. 2014 hat Ed Miliband dieses alte Wahlsystem abgeschafft und stattdessen ein ‚one member one vote‘-System für die Wahl des/der Vorsitzenden etabliert. Darüber hinaus erleichterte er die Beitrittsmodalitäten und führte die ‚registered supporters‘ ein, die sogar Stimmrecht bei der Vorstandwahl erhielten, jedoch nicht sämtliche Mitgliedsrechte. “

 

 

Jeremy Corbyn

 

 

Wie kam es zur Wahl Corbyns? Was macht Jeremy Corbyn so besonders und was konnte er schon verändern und erreichen?

 

Jake Smith: „Zunächst machte Jeremy Corbyn nicht den Anschein, als würde er der nächste Parteivorsitzende werden, doch er war es schließlich, der der Partei eine neue und radikalere Vision gab. Corbyn stand für eine authentisch sozialistische Vision, wie sie die Labour Party lange nicht mehr hatte. Seine Persönlichkeit strahlte Authentizität und Leidenschaft aus.“ Corbyns Unterstützer*innen in der Partei und den Gewerkschaften steckten viel Kraft in die Werbung neuer Mitglieder*innen und machten es so möglich, dass sich die Mitgliederzahl von 200.000 währen der General Election 2015 binnen weniger Monate auf etwa 550.000 Mitglieder und Registered Supporters mehr als verdoppelte. Jeremy Corbyn wurde nach einem harten innerparteilichen Wettkampf mit knapp 60 % zum neuen Vorsitzenden der Labour Party gewählt.

 

 

„Zwei Kernaspekte sind für mich hierbei die General Election 2017 und all die Veränderungen die Corbyn mit sich und vorangebracht hat.“ Die Partei etablierte eine absolute Anti-Austeritäts-Plattform, forderte also massive Steigerung der öffentlichen Ausgaben und Investitionen, und fand zurück zu authentischer, sozialistischer Politik. Durch Corbyn und seinen Scharen an Unterstützer*innen wurde Labour zu einer Massenbewegung, wie sie es nie zuvor war.

 

Die General Election 2017 wurde zu einem Zeitpunkt angesetzt, als die Labour Party in den Umfragen weit hinter den Tories lag, demnach sah es so aus, als würden die Konservativen mit Leichtigkeit die Wahl gewinnen. Jeremy Corbyn jedoch konnte das Interesse der Medien auf sich ziehen und somit auch auf seine Politik, das Bild Corbyns in den konservativ geprägten Medien wandelte sich von einem zuvor sehr negativ geprägten Bild hin zu einer sehr offenen positiven Einstellung. Während der Kampagne hielt Corbyn sehr viele gut besuchte und über das ganze Vereinigte Königkreich verteilte Kundgebungen ab, was für britische Wahlkampfmethoden ein Novum war. „Das Momentum der Labour Bewegung war enorm.“ Theresa May hingegen machte keine gute Form im Wahlkampf. Sie lehnte Auftritte in TV-Duellen und Interviews ab, ihr Wahlprogramm enthielt einige ultrakonservative Forderungen, die wenig populär waren und von Labour heftig bekämpft wurden. Schlussendlich kam Labour einem Wahlsieg sehr nahe.

 

 

BREXIT

 

 

Welche Rolle spielte Labour während des Brexit Referendums und der vorhergegangenen Kampagne? Wie geht Labour nun mit dem Ergebnis um und was kommt nun?

Jake Smith: Die Labour Party hat sich während des Brexit Referendums freilich der ‚remain‘-Kampagne angeschlossen, sie ist zweifelsohne eine gänzlich proeuropäische Partei. Corbyn machte während der Kampagne viele Reformvorschläge, z.B. um die EU zu (re-)demokratisieren, für weniger freien Markt, stattdessen für ein mehr soziales Europa, er forderte die Stärkung von Arbeitnehmer*innenrechten, sozialen Rechten und des Umweltrechts. Labour stand für ‚remain in and reform the EU‘. Darüber hinaus war die Kampagne von Labour auch vom Entlarven und Attackieren der Lügen der Brexiteers gepärgt.

 

Einige Parteimitglieder sahen die vielen Reformvorschläge in der Kampagne kritisch und befürchteten, dass eine ungebrochen proeuropäische Botschaft der Partei nicht mehr übermittelt werden könne. Sie denken, dass man andernfalls mehr Wähler*innen hätte überzeugen können für den Verbleib in der EU zu stimmen.

 

Ein großes Problem mit dem Labour konfrontiert war und ist sind viele traditionelle Labour-Wähler*innen, die aus traditionellen Arbeiterschichten und armen Regionen stammen und für das Verlassen der EU gestimmt haben. Der ‚leave‘-Kampagne gelang es diese Schichten und Regionen davon zu überzeugen, dass deren persönliche schwierige wirtschaftliche Lage teilweise an der EU liege und diese sie vergessen habe. Viele typische Labour-Wähler*innen stimmten also für ‚leave‘, während es vor allem Student*innen, junge Menschen und Hochgebildete waren, die für ‚remain‘ stimmten. Die Partei stand vor einer Zerreißprobe, sie wurde in zwei Richtungen getrieben und musste die Balance finden um beide Lager zu bedienen. Am Ende gelang es der Partei erstaunlich gut die Mehrheit der Labour-Anhänger*innen (70%) dazu zu bewegen für ‚remain‘ zu stimmen. Wenngleich die Mehrheit der Wahlberechtigten für das Verlassen der Europäischen Union gestimmt haben, war die Kampagne der Partei im Großen und Ganzen erfolgreich.

 

 

„Nach dem Referendum war die leidenschaftlich proeuropäische Partei zutiefst enttäuscht. Man fürchtete und fürchtet noch immer, dass es ein schwerwiegender Fehler für die Brit*innen gewesen sein wird.“ Aber man respektiert das Ergebnis und muss nun mit der Lage umgehen. Hierbei sieht Labour sich in der Pflicht für eine möglichst nahe und enge Beziehung zur Union zu kämpfen. Die Partei befürwortet eine Übergangsphase, bei der das UK weiterhin vollständig im europäischen Rechtssystems bleibt und erst nach einigen Jahren eine enge und gut ausgehandelte neue Beziehung eingegangen wird.

 

 

Die derzeitigen Verhandlungen werde von der Regierung May sehr schlecht geführt, jedoch bemüht sich Labour nach Kräften seinen Einfluss im Parlament auszubauen. Man versucht Allianzen mit kleineren Parteien und proeuropäischen Konservativen zu errichten, um die Regierung dazu zu bewegen einen Deal zu verhandeln, der den Zugang zum europäischen Markt sichert. Obwohl Labour nicht bei den Verhandlungen mitwirken kann, arbeitet die Partei mit allem Nachdruck eine möglichst nahe Beziehung zur EU zu erreichen.              

 


Simon Grajer

Großbritannien-Korrespondent der Jusos Nordoberpfalz

 

Das Interview erschien ebenfalls im Magazin "Faust" der Jusos Bayern.