Menschenleben sind keine Verhandlungsmasse!

Als Juso und junges SPD-Mitglied ist angesichts des derzeitigen Verhaltens großer Teile der Parteispitze ein besonders dickes Fell notwendig. Zum einen sind die Jungsozialist*innen die lauteste Stimme, die sich gegen eine Große Koalition ausspricht. Dafür mussten wir uns bereits zahlreiche Vorwürfe aus den eigenen Reihen gefallen lassen.

Jusos hätten eine grundsätzliche Anti-Haltung, wären sachlichen Argumenten nicht zugänglich und würden unverantwortlich handeln. Nach dem Bekanntwerden des Sondierungsergebnisses und dem denkbar knappen Ergebnis für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen beim Bundesparteitag folgte die nächste Welle an Anschuldigungen. Wir als Jusos seien nicht nur unverantwortlich, sondern sogar undemokratisch, Steigbügelhalter für die AfD und würden mit einer plumpen Neumitgliederkampagne unfaire Methoden anwenden. Während die Juso-Vertreter*innen durchwegs sachlich argumentieren, wurden sie angegriffen und diffamiert. Dieser Stil - auch von Teilen des Parteivorstands - ist einer progressiven Partei unwürdig. Gleichzeitig sind wir als Jusos es gewohnt, uns seit Jahrzehnten für eine Politik rechtfertigen zu müssen, die wir selbst kritisieren und nicht mittragen. Wir sind also Einiges gewohnt.

 

Angesichts des heute bekannt gewordenen „Kompromisses“ zum Thema Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte muss ich eingestehen: Ich schäme mich für das, was in den Koalitionsverhandlungen unter Beteiligung der SPD verhandelt und festgeschrieben wurde. Der Familiennachzug soll bis zum 31. Juli ausgesetzt bleiben. Danach sollen maximal 1000 engere Angehörige von Geflüchteten pro Monat Schutz bekommen, ergänzt um eine restriktive Härtefallregelung, die bereits sowieso gilt.

 

Man muss sich dies verdeutlichen: Der subsidiäre Schutz gilt für Geflüchtete aus Bürgerkriegsländern wie Syrien. Es geht hier um Menschenleben, insbesondere um das Leben von Kindern und Jugendlichen. Kinder und Jugendliche wie Ruscher aus Afrin. Der Kurde starb vor wenigen Tagen durch einen Bombenangriff im Rahmen der türkischen Offensive in Nordsyrien. Sein Vater bemühte sich mehrmals vergeblich, ihn und seine Schwester nach Deutschland in Sicherheit zu bringen. Die deutschen Behörden lehnten sein Gesuch jedes Mal ab.

 

Ich bin schockiert über das Verhandlungsergebnis des Sondierungsteams. Ich bin schockiert, dass das Leben von Menschen, die sich in Lebensgefahr befinden für einige Politiker*innen nicht mehr zu sein scheint als Verhandlungsmasse. Ich bin schockiert, dass Solidarität und Internationalismus als Grundwerte der Sozialdemokratie in Teilen unserer Partei keine Rolle mehr zu spielen scheinen. Ich bin schockiert, dass Teile der SPD bereit sind menschenunwürdige Politik, ganz im Sinne der AfD und CSU, zu machen. Ja, es gibt eine Mehrheit rechts der Mitte im Bundestag. Das ist jedoch kein Grund für Mitglieder der SPD, auch noch den Steigbügelhalter dafür zu spielen.

 

Ich bin schockiert, über den Versuch der Parteispitze, uns dieses Verhandlungsergebnis als Erfolg zu verkaufen. Eine Frage an den Parteivorstand und das Verhandlungsteam:

Ist das euer ernst?

 

Ich bin schockiert, dass ein entsprechender Gesetzesentwurf schon in den nächsten Tagen, vermutlich sogar gleich am Tag nach der Kompromissfindung durch den Bundestag gepeitscht werden soll.

 

Ich kann nur alle Genoss*innen und insbesondere die SPD-Bundestagsabgeordneten mit Nachdruck dazu aufrufen, sich gegen diese Pläne zu stellen. Es geht hier nicht um eine einfache politische Entscheidung. Es geht um das Leben von Menschen. Wie würdet ihr wohl entscheiden, wenn es um eure eigenen Kinder ginge? Für die Zustimmung zu dieser Regelung wird es gewiss Applaus geben. Er wird von der CSU und der AfD kommen, sowie von allen die den Wert eines Menschenlebens an der Herkunft festmachen. Stimmt diesem „Kompromiss“ zu und wir werden erleben müssen, dass das „sozialdemokratisch“ im Namen unserer Partei zu ebenso einer hohlen Phrase verkommt wie das „christlich“ im Namen der Unionsparteien.


von Julian Bäumler

Vorstandsmitglied Jusos Nordoberpfalz